Heute vor 50 Jahren hob die erste deutsche Hybridrakete ab, ein Meilenstein in der Raumfahrt. Entwickelt von Studierenden der TU München, prägte sie die Zukunft. Professor Robert Schmucker reflektiert über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieses wegweisenden Projekts sowie die Rolle der Studierendengruppe TUM WARR.
Am 12. März 1974 startete die Barbarella-Rakete von einer Plattform in der Ostsee nahe Eckernförde. Barbarella war die erste hybride Rakete, die in Deutschland entwickelt und gebaut wurde, und zwar von Studierenden der Technischen Universität München.
Geprägt wurde das Barbarella-Projekt von Robert Schmucker. 1962 gründete er mit einigen Freunden die heutige WARR (Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt). Später promovierte und habilitierte Schmucker und wurde 1981 Professor für Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München.
Professor Schmucker hat sich zum 50. Jubiläum des Raketenstarts mit Studierenden der WARR zusammengesetzt, um die Vergangenheit zu reflektieren, die Gegenwart zu analysieren und in die Zukunft zu schauen.
Professor Schmucker, erklären Sie mal, was ist eigentlich eine Hybridrakete?
Robert Schmucker: Die Idee der Hybridrakete, eine Kombination eines festen Brennstoffes mit einem flüssigen Oxidator ist relativ alt – die ersten Ideen gab es schon in den 1930er Jahren, also vor knapp 100 Jahren.
Barbarella ist eine klassische Hybridrakete mit allen typischen Elementen dieses Typs: Brennkammer mit einem festen Brennstoffblock, ein Tank für Salpetersäure als Oxidator und ein Hochdruckgasbehälter mit Ventilen zur Förderung der flüssigen Komponente in die Brennkammer. Sie nimmt damit eine Mittelstellung zwischen den Feststoff- und Flüssigkeitsraketen ein.
Welche Vorteile hat man sich von einer Hybridrakete erhofft?
Robert Schmucker: In den 1960er Jahren erwartete man durch die Kombination von festen und flüssigen Treibstoffen eine höhere Leistung im Vergleich zu Feststoffraketen sowie eine inhärente Sicherheit – keine Gefahr einer Explosion – und gegenüber Flüssigkeitsraketen eine deutliche Verringerung der Komplexität. Deshalb haben sich in diesen Jahren weltweit eine Reihe von Institutionen in Ost und West intensiv mit diesem Raketentyp beschäftigt.
Die neuesten Raketen wie Ariane 6 oder Starship von SpaceX benutzen andere Antriebssysteme. Warum hat sich die Hybridrakete nicht durchgesetzt in der Industrie?
Robert Schmucker: Leider haben sich aus physikalisch-technischen Gründen bis auf die einfachere Bauweise die erhofften Vorteile bei der praktischen Umsetzung bisher nicht realisieren lassen.
Die Rakete wurde damals aus der Ostsee gestartet. Warum dieser Startort und könnten wir von dort heute noch Raketen starten lassen?
Robert Schmucker: Damals benötigten wir ein Testgelände für den Flug. Aus Sicherheitsgründen war der Bereich sehr groß anzusetzen, da wir eine möglichst große Höhe erreichen wollten – ein Flachschuss auf einem handtuchförmigen Gelände wie Meppen kam für uns nicht in Frage. Damit war nur die Ostsee ein geeigneter Testplatz.
Der potentielle Gefährdungsbereich durch Barbarella wurde mit rund 10 km angesetzt, da das Flugverhalten des neuen Flugkörpers unbekannt war und jede Flugrichtung berücksichtigt werden musste. Die Hubinsel [Mobile Plattform im Wasser] wurde von Eckernförde in die Ostsee geschleppt, um weit ab vom Land die Erprobung durchzuführen.
Dieser Schussbereich reicht für Forschungsraketen der Größe der Barbarella, genügt aber nicht für leistungsstärkere, größere Raketen. Deshalb kann man dort keine echten Raumfahrtraketen starten, denn diese kommen nicht nahe der Plattform wieder herunter und der Sicherheitsbereich muss entsprechend groß werden, was die Ostsee als Abfluggebiet ausschließt.
Welche Bedeutung hatte die Rakete für die Raumfahrt in Deutschland?
Robert Schmucker: Es war der erste Start einer Forschungsrakete durch eine Studentengruppe, die nicht durch einen Feststoffraketenmotor angetrieben wurde. Diese erfolgreiche Raketenerprobung einer Gruppe von Studenten einer Hochschule in Deutschland bewirkte eine Art Initialzündung für andere Studenten, die sich mit Raumfahrt und Raketen beschäftigten, um auch selbst experimentell auf diesem Sektor zu arbeiten und Raketen zu starten.
Können Sie uns erklären, warum die Barbarella einen Besuch ins Deutsche Museum wert ist?
Robert Schmucker: Im Deutschen Museum in München wurde in den 1970er Jahren ein neuer Bereich konzipiert, der der Raumfahrt gewidmet war. Einer der Schwerpunkte war die detaillierte Darstellung der verschiedenen Raketentypen. Das einzig verfügbare Exemplar einer Hybridrakete war Barbarella und so fand das zweite, voll funktionsfähige, aber nicht verschossene Muster der Flugerprobung vom 12. März 1974 seinen Platz im Deutschen Museum.
Allerdings verkleinerte man am Anfang des 21. Jahrhunderts, also knapp vier Jahrzehnte später, im Zuge der Neugestaltung der Raumfahrtabteilung den Raketenbereich deutlich und man wies der Hybridrakete eine Nischenrolle zu, da sich die mit diesem Antriebstyp verbundenen Erwartungen nicht realisiert hatten. Dementsprechend wanderte die Barbarella-Zeichnung ins Depot und Barbarella selbst fand einen Platz in einem Schaukasten. Dieses Objekt ist aber trotzdem noch ein schönes Beispiel dafür, was in diesen Jahren von einer Studentengruppe erreicht werden konnte.
Wann begannen eigentlich die Arbeiten für die Barbarella und welche Rolle hat die WARR dabei gespielt?
Robert Schmucker: Diese Arbeiten hatten bereits während der Schulzeit (zusammen mit Freunden) begonnen und wurden dann mit dem Beginn des Studiums an der Technische Hochschule München fortgesetzt. Das waren neben kleinen experimentellen Untersuchungen mit der Konzentration auf die dazu erforderliche Messtechnik – es ging damals vorrangig um die Messung von Leistungsparametern eines Raketenmotors und nicht nur die Freude am Test – auch die interne Weiterbildung auf dem Raketensektor, denn an der Universität gab es keine entsprechenden Vorlesungen.
Anfangs nannten wir uns AGRR (Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt) und erst später kam es dann auf Wunsch von Ludwig Bölkow zum Namen WARR, das Ergebnis einer Zusammenlegung und Übernahme einer THM-Gruppe dieses Namens, die sich keinen experimentellen Arbeiten, sondern nur Vorträgen gewidmet hatte.
Fluggeräte wie Barbarella waren weder Ziel noch lagen sie im Interesse, da damals die Komplexität dieser Aufgabe die bescheidenen Fähigkeiten bei weitem überstieg. Das Verstehen der Raketentechnik und die praktische Betätigung war in diesem Zeitabschnitt wohl die wichtigste Überlegung.
Mit den ersten Lehrstühlen zur künftigen Fachrichtung Luft- und Raumfahrt begann sich die Situation allmählich zu ändern, denn nun wurde die WARR langsam beachtet. Der entscheidende Aufschwung an der TUM kam mit dem Lehrstuhl für Raumfahrttechnik unter Prof. Ruppe, der die WARR unter seine Fittiche nahm. Das bedeutete Studien- und Diplomarbeiten, sodass sich die Mitarbeit in der WARR auch fürs Studium lohnte.
Damals waren sie noch kein Professor, sondern Student. Inwieweit hatte die Rakete Einfluss auf Ihren weiteren Werdegang?
Robert Schmucker: Raketen und Raumfahrt waren immer und sind noch heute mein Lebensinhalt. Bereits als Schüler im Alter von etwas über 10 Jahren interessierte ich mich für Astronomie und dann wenige Jahre später für Raketen und dieses Thema ließ mich nie mehr los. Folgerichtig habe ich dann in meinem Leben praktisch alles auf Raketen und Raumfahrt ausgerichtet. Dabei hatte ich viel Glück: Die WARR als Gruppe von Gleich-Interessierten und dann Prof. Ruppe als mein Universitätsmentor. Ohne diese wären wir und auch ich nie zum Erfolg gekommen.
Was haben Sie sich 1972 vorgestellt, was die WARR in 50 Jahren erreichen kann?
Robert Schmucker: Mit dem Flug von Barbarella war das seit 1969 gesteckte Ziel erreicht und es gab Stimmen, die WARR damit zu beenden. Für mich aber war neben der mehr theoretischen Ausbildung an der Universität die ingenieurmäßige, praktische Erfahrungsgewinnung in der WARR der entscheidende Gesichtspunkt für die Notwendigkeit von studentischen Einrichtungen wie der WARR – die selbstständige, eigenverantwortliche Bearbeitung komplexer Ingenieursthemen, parallel zum Studium.
Ich setzte mich durch und mit einer neuen Führung wurden neue Ziele definiert und entsprechende Arbeiten begannen. Durch meine engen Beziehungen zum Lehrstuhl für Raumfahrttechnik und zu Prof. Ruppe war es mir möglich, weiter die WARR-Aktivitäten im Blick zu haben und universitär zu betreuen.
Ruppe war ein „Raketenmann“. Deshalb war die WARR im Anfangsjahrzent zwar ganz auf Raketen ausgerichtet, hatte aber den weiteren Bereich der Raumfahrt nicht aus den Augen verloren. Mit den Nachfolgern von Prof. Ruppe und vor allem Prof. Walter stellte sich die WARR deutlich breiter auf und so kamen weitere Themen wie Kleinsatelliten und schließlich der Hyperloop in den Fokus.
Mit dem Start-up IsarAerospace scheint sich nun nach 50 Jahren dieser alte WARR-Traum endlich zu realisieren.
Wie sehen Sie studentische Gruppen wie die WARR heute?
Robert Schmucker: Eigeninitiative ist ein ganz entscheidender Gesichtspunkt für die Entwicklung der Persönlichkeit. Studentische Gruppen wie die WARR bieten dazu eine bestens geeignete Gelegenheit – ohne ein Korsett von Einschränkungen etwas eigenständig zu realisieren und dabei Erfahrungen zu sammeln beim Kümmern um alle die Themen, die für den späteren Erfolg unabdingbar sind – organisatorisch, finanziell, ressourcenmäßig, zwischenmenschlich und auch medial. Das geht nicht mit einem normalen Arbeitstag, sondern erfordert Motivation, Einsatz und eine nicht nachlassende Bemühung um das Ziel, auch wenn durch Rückschläge und Schwierigkeiten manchmal Zweifel aufkommen oder zum Verzweifeln sind.
Die WARR wie auch andere Gruppen der TUM haben hervorragende Arbeit geleistet und ich bin restlos davon überzeugt, dass wir auch zukünftig großartige Ergebnisse sehen werden.